Eine Drama hat sich in der Silvesternacht hinter dieser Türe abgespielt. Foto: Eyrich

Freundin des Metzgers, der seinen Bruder erstochen haben soll, berichtet von Silvesternacht.

Albstadt-Tailfingen - Im Fall der Tailfinger Metzgerbrüder fällt die Entscheidung früher als gedacht. Am Donnerstag sagte die Lebensgefährtin des Angeklagten vor Gericht aus.

Nächste Woche fällt das Urteil gegen den Tailfinger, der in der Silvesternacht seinen Bruder erstochen haben soll. Das verkündete Richter Anderer am Ende der gestrigen Hauptverhandlung überraschend. Der Totschlagprozess verkürzt sich dadurch um fünf Verhandlungstage. Gestern sagten die letzten Zeugen aus, darunter auch die damalige Lebensgefährtin des Angeklagten, die bei der Tat anwesend war.

Die 43-Jährige war dreieinhalb Jahre mit dem Angeklagten liiert. Gemeinsam hatten sie die Wohnung am Markt in Tailfingen gemietet, in der an Silvester die Tat geschah. Über die Probleme mit seinem Bruder wollte er nie reden. Doch eines Tages brachte er ihn mit nach Hause. Die beiden hätten sich andauernd gestritten. Der ältere sei dabei immer völlig ausgerastet und habe den Angeklagten übel beschimpft. Dieser sei stets ruhig geblieben. Im Polizeiprotokoll beschrieb auch der Sohn des Opfers die Beziehung der beiden. Ihn schien es nicht zu wundern, dass es irgendwann zu einer Eskalation kommen würde. Sein Vater sei ein Choleriker gewesen. Allein die Farbe eines Wasserkochers hätte ihn zum Ausrasten gebracht. Auf der anderen Seite habe er alles für seinen kleinen Bruder getan. In den Wochen vor der Tat sei die Beziehung der Brüder "so stabil wie seit langem nicht mehr" gewesen.

Frau streitet intime Beziehung zu Opfer ab

Als einzige Zeugin in dem Verfahren räumt die Lebensgefährtin offen ein, dass die Brüder möglicherweise alkoholkrank gewesen seien. Der ältere habe außerdem Cannabis konsumiert und der Angeklagte habe täglich nach dem Aufstehen Subutex gesnifft. Die Vermutungen, dass es zu der Tat gekommen war, weil sie eine intime Beziehung zu dem Opfer hatte, stritt sie ab, ebenso der Angeklagte.

Noch einmal beschrieb die 43-Jährige den Abend. Man geht in eine Kneipe, tanzt und trinkt. Kurz vor Mitternacht verschwindet der Angeklagte. Als er um zwölf Uhr wieder auftaucht, ist sie beleidigt. Kurz darauf geht er nach Hause. Sie folgt ihm später mit seinem Bruder, der in der Wohnung des Paares noch seine Schlüssel holen will. Als sie die Wohnung betritt, schreit der Angeklagte, sie solle verschwinden. Sie macht sich trotzdem auf die Suche nach dem Autoschlüssel.

Als sie wieder ins Wohnzimmer kommt, sitzt der Ältere schon auf seinem Bruder und verpasst ihm Faustschläge ins Gesicht. Nach mehreren Versuchen gelingt es ihr, die beiden zu trennen. Der Angeklagte nimmt zwei Ziermesser vom Fernseher. Die Zeugin flieht in die Küche, auch das Opfer verlässt den Raum. Die Frau sieht noch, wie der Angeklagte mit den Messern im Treppenhaus vor seinem Bruder steht, dann schließt sie sich im Bad ein. Kein Wort wird gesprochen, "sie waren wie Taubstumme" erinnert sich die Zeugin. Kurz darauf hört sie einen Schrei.

Der letzte Stichtrifft das Herz

Laut Obduktionsbericht ist es möglich, dass der Angeklagte dem Opfer eines der Messer in die Brust stieß, es herauszog und schnell wenige Zentimeter weiter erneut zustach. Einer der Stiche durchbohrte eine Rippe und traf die Lunge, die kollabierte. Dann drehte sich das Opfer möglicherweise leicht, sodass der Angeklagte ihm zwei weitere Stiche ins Becken und in den oberen Rücken versetzen konnte. Der Rückentich traf ins Herz und brachte es zum Stillstand.

Die Gerichtsmedizinerin berichtete aber von Fällen, in denen sich die Opfer trotzdem noch mehrere Meter geschleppt hatten. Damit wäre die Variante des Angeklagten von den Wunden her nicht ausgeschlossen: Er will seinen Bruder im Wohnzimmer erstochen haben und meint, dieser sei aus eigenen Kräften in die Abstellkammer gelaufen, wo ihn die Polizei fand. Die Spuren am Tatort sprechen gegen diesen Verlauf.

15 Minuten später steht er wieder vor seiner Lebensgefährtin und schlägt auf sie ein. Als er von ihr ablässt, gelingt ihr die Flucht aus der Wohnung, draußen hält sie ein Auto an und bittet den Fahrer, die Polizei zu rufen.

Zwei Fragen bleiben aber am Ende des Tages offen: Zwei Monate lang hatte das Opfer auf dem Sofa des Paares übernachtet. Warum wollte der Angeklagte in dieser Nacht nicht, dass seine Freundin den Bruder mit in die Wohnung brachte? Und warum wollte das Opfer ausgerechnet in der Silvesternacht seine Autoschlüssel holen und nach Hause fahren?

Beides ist nur dadurch zu erklären, dass schon in der Kneipe etwas zwischen den Brüdern vorgefallen sein muss. Von einer Auseinandersetzung will aber keiner der Anwesenden etwas mitbekommen haben. Einzig der Angeklagte habe von einer Auseinandersetzung in der Kneipe erzählt, berichtete ein Polizist. Das sei auch der Grund gewesen, warum der Angeklagte nach Hause wollte. Er habe auch nicht gewollt, dass sein Bruder bei ihm schläft.

Und noch etwas gibt Rätsel auf: Verschiedene Zeugen berichten von einem Satz, den der Angeklagte zu drei verschiedenen Zeitpunkten in der Tatnacht zu seiner Lebensgefährtin gesagt haben soll. "Jetzt hast Du, was Du wolltest", habe er sowohl in der Wohnung als auch im Krankenwagen und auf dem Polizeirevier zu ihr gesagt.

"Dabei hat er mich doch geschlagen ..."

Auch die Zeugin kann sich diesen Satz nicht erklären: "Ich wollte weder, dass er seinen Bruder umbringt, noch, dass er in den Knast kommt." Letzteres hatte wohl auch der Angeklagte nicht gewollt. Zu einem Polizisten hatte er auf der Fahrt zum Revier gesagt: "Jetzt muss ich in den Knast. Dabei hat er mich doch geschlagen, 20, 30 Mal. Ich dachte ich sterbe."

Gegenüber einem anderen Polizisten habe er geäußert, dass er sich erschießen würde, wenn er nur eine Pistole hätte. Auf eine Anzeige wegen Körperverletzung hatte die Zeugin verzichtet, aus Rücksicht auf die Eltern des Angeklagten.

Anderer deutete an, dass das Urteil möglicherweise auf eine Unterbringung in der Psychiatrie hinauslaufen wird. Ein psychologisches Gutachten soll am Mittwoch darüber entscheiden.