Zu den Missbrauchsvorwürfen in Freiburg wurde vor dem Münster protestiert. Foto: Deckert

Bereits 1990 werden in Besprechungsprotokollen Missbrauchsfälle „intern benannt“. Alt-Erzbischof Robert Zollitsch habe aber nicht mal 2010 eine öffentliche Erklärung abgeben wollen. Damals wurde die Debatte rund um Missbrauch in der Kirche immer lauter.

Der ehemalige Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch (84), hat bei der jahrzehntelangen Vertuschung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Freiburg nicht ohne das Wissen anderer Führungskräfte im Bistum gehandelt.

Das hat der Freiburger Moraltheologe Magnus Striet am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Wie weiter?“ in der Katholischen Akademie in Freiburg betont: „Selbstverständlich gab es ein breites Wissen auf der Ebene des Ordinariats“, unterstreicht Striet.

Aus Besprechungsprotokollen die bis ins Jahr 1990 zurückreichen, lasse sich erkennen, dass Missbrauchsfälle „intern benannt“ wurden. Im Zuge der 2010 immer lauter werdenden öffentlichen Debatte um sexuellen Missbrauch in der Kirche habe man Zollitsch sogar zu einer öffentlichen Erklärung für Transparenz im Umgang mit Missbrauchsvorwürfen zu bewegen versucht. Der Erzbischof habe auf das Ansinnen aber nicht reagiert, worauf die Initiative nicht weiter verfolgt worden sei.

„Es wird die Missbrauchskommission sicher beschäftigen, wie es dazu kommen konnte, dass es in einem System, in dem ganz offensichtlich Verbrechen begangen und vertuscht werden, nicht auf einer breiteren Leitungsebene zu Aktivitäten dagegen kommt“, meint Striet. An der Richtigkeit der Details im Missbrauchsbericht vom Dienstag gebe es keine Zweifel: Die Arbeit der Juristen Eugen Endress und Edgar Villwock sei juristisch so präzise aufbereitet, dass sie auch öffentlich genutzt werden könne.

Wie lässt sich Macht kontrollieren?

Im Hintergrund gebe es viele tausend weitere Seiten an Unterlagen. Zusammenfassend müsse man wiederholen, dass die Missbrauchsbetroffenen entweder ignoriert oder beschwichtigt worden seien, dass es Zollitsch und seinem 2008 verstorbenen Vorgänger Oskar Saier um den Schutz des Systems Kirche und seiner Priester gegangen sei.

Und dass die Führungsebene der Erzdiözese um Missbrauch und Vertuschung gewusst habe: „Es gab eine Art nachhaltige Inaktivität“, erläutert Striet. Die müsse benannt werden, wenn man über Konsequenzen sprechen wolle. „Die Frage lautet, wie man Macht kontrollieren kann“, betont der Moraltheologe.

Dafür sei auch nötig, dass sich die Kirche der Diskussion über sexuelle Neigungen und Präferenzen stelle. Pädophilie in der Kirche könne man nur eindämmen, wenn man sich der Thematik überhaupt erst stelle, sagt Striet. Und: Auch der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs an Erwachsenen in der Kirche müsse unter die Lupe genommen werden.

Wer im Bistum nun welche konkreten Folgen aus dem Bericht zu erwarten habe, ließ Generalvikar Christoph Neubrand am Donnerstag noch offen: Man werde in den kommenden Wochen „Stück für Stück schauen“ und die Ergebnisse des Missbrauchsberichts analysieren.

Immerhin: Als „Zeichenhandlung“ seien am Donnerstag sämtliche Ölgemälde ehemaliger Erzbischöfe im Freiburger Ordinariat entfernt worden, so Neubrand. Es gehe dabei aber nicht nur um Saier und Zollitsch, meint Neubrand. Die Frage sei vielmehr gewesen, ob solche Bilder überhaupt noch zeitgemäß seien.

Zollitsch äußert sich nicht zu Vorwürfen

Am Freitag meldete ein Sprecher von Zollitsch zudem, dass der Bischof auf sein Privileg verzichten werde, im Freiburger Münster bestattet zu werden und dass er sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben werde. Auf andere „bischöfliche Privilegien“ habe er schon seit geraumer Zeit verzichtet. Zu den Anschuldigungen gegen seine Person äußerte sich Zollitsch nicht. Er hatte bereits im Vorfeld des Missbrauchsberichts vom Dienstag angekündigt, nichts zu dem Bericht sagen zu wollen.

Der rund 600 Seiten umfassende Bericht, der die ehemaligen Freiburger Erzbischöfe Oskar Saier und Robert Zollitsch als langjährige, aktive Täterschützer überführt hatte, hat im Bistum Freiburg viele Reaktionen hervorgerufen.

Viele Menschen hätten sich beim Ordinariat gemeldet, um Wut, Trauer und Entsetzen zum Ausdruck zu bringen, sagt Bistumssprecher Marc Mudrak gegenüber unserer Zeitung: „Einig waren sich die meisten jedoch darin, dass es gut ist, dass die Wahrheit nun auf dem Tisch liegt und weitere Konsequenzen angegangen werden.“ Wie sich der Bericht konkret auf die steigende Zahl der Kirchenaustritte auswirke, könne man derzeit nicht sagen, da diese Zahlen nicht tagesscharf verfügbar seien.