Pfarrer Ernst Nestele hat momentan noch Baustelle an seiner Kirche – für ihn auch ein Symbol des Zustands der Kirche im 21. Jahrhundert. Fotos: Göttling Foto: Schwarzwälder-Bote

Kirchturm: Renovierung der evangelischen Kirche dauert an / Pfarrer fordert geistliche Erneuerung

Die Evangelische Kirche in Winterlingen ist mittlerweile, anders als im Frühling, wieder nutzbar. Doch die Restaurierung, die seit über einem Jahr andauert, ist damit noch längst nicht abgeschlossen.

Winterlingen. "Uns bleibt nur noch das Warten, da die Vorgänge einem vorgegebenen Ablauf folgen", sagt Pfarrer Ernst Nestele. Weil die Balken für den Glockenturm der evangelischen Kirche Überlänge haben, muss Zimmerermeister Thomas Ristau aus Onstmettingen sie als Sonderanfertigung in Auftrag geben. Neu aufbauen kann er die Balken aber nur, wenn das Denkmalamt mitspielt.

Sobald alles vollständig dokumentiert beim Landesdenkmalamt eingereicht sei, gelte es, auf Zustimmung des Amtes zu warten, ehe man das Holz beschaffen, zusägen, auf den Kirchturm befördern und einbauen könne, sagt Nestele. Danach müsse das Dach neu gedeckt werden, möglichst mit den historischen, noch erhaltenen Ziegeln. Erst dann könnten die Glocken wieder klingen.

Laut Nestele ist das Gerüst erst spät, nachdem der immense Schaden im Dach bemerkt worden war, höher gebaut worden, was die ganze Angelegenheit verkompliziere: "Die Glocken sind zur Stabilisierung des oberen Gerüstteildrittels fixiert, ein Teil des Gerüstes am Kirchturm ist an den Glocken festgemacht", erklärt der Pfarrer Dadurch zögen sich Gerüststangen durch den Glockenstuhl.

Für die weiteren Arbeiten in den nächsten Monaten hofft Nestele auf gutes Wetter. "Wir nehmen alles aus Gottes Hand. Entscheidend für mich ist, dass das Gemeindeleben trotz dieser erschwerten Bedingungen uneingeschränkt weiterlief", sagt der Pfarrer, der im morschen Dach seiner Kirche ein Bild für die Baufälligkeit der evangelischen Kirche im geistlichen Bereich sieht: "Wir bräuchten Reformen hin zu einer Rückbesinnung auf das tragende Fundament der Kirche, Jesus Christus, nach 1. Korinther 3." Dort steht: "Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus."

Erneuerung mit Jesus als Baumeister

Nestele vermisst eine solche Erneuerung mit Jesus als Baumeister der Kirche und einem klaren Bekenntnis auf Gottes Wort hin – und fügt mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche, kirchliche, aber auch politische Situation der Zeit hinzu: "Was in geistlicher und kultureller Hinsicht passiert, ist nicht mit ein paar Baumaßnahmen in den Griff zu bekommen." Zu befürchten sei langfristig ein Kulturkampf in Europa sowie eine Orientierungsleere im Zuge von Prozessen des Wertewandels und der Säkularisierung und deren Folgen.

Der vierfache Vater Nestele sieht ein großes "geistliches Desinteresse" in der Gesellschaft und die christliche Prägung des Landes in Gefahr, wenn diese nicht gestützt und verteidigt werde. Christen hätten ihre Überzeugungen nicht nach dem Zeitgeist zu richten, worauf schon der gläubige Ex-Bundespräsident Gustav Heinemann hingewiesen habe: "Die Herren dieser Welt kommen und gehen; unser Herr aber bleibt", habe er gesagt.

Auch strukturell kritisiert Nestele seine eigene Kirche: Weniger Bürokratie und konkrete Maßnahmen gegen den sich abzeichnenden Pfarrermangel, der vor allem mit dramatischen Verschlechterungen der Versorgung auf dem Land einhergehen werde, seien das Gebot der Stunde. Darüber hinaus werde es schwieriger werden, die Immobilien zu erhalten, wenn die Kirchensteuereinnahmen zurückgingen.

Für die unerwarteten Sanierungsarbeiten, die nun unter erschwerten Bedingungen geleistet werden müssen, freut sich die Kirchengemeinde über Spenden. Die genauen Kosten sind laut Nestele freilich noch nicht absehbar. Zudem hofft die Kirchengemeinde auf Zuschüsse des Landesdenkmalamts und des Kirchenbezirks.

Besucherzahlen sind stabil geblieben

Obwohl im Frühling dutzende Gottesdienste im evangelischen Gemeindehaus gefeiert werden mussten, das zeitweise nur über den Friedhof zu erreichen war, waren die Besucherzahlen nicht eingebrochen: "Die Zeit der Überbrückung der Gottesdienste im Gemeindehaus war aufwendig und für die Älteren wegen der sommerlichen Hitze beschwerlich, aber auch eine gute Erfahrung", sagt Nestele. Statt sich auf eine große Kirche mit Empore zu verteilen, hätten ältere und jüngere Gemeindeglieder dicht gedrängt beieinandergesessen und sich ganz anders wahrgenommen.

Ernst Nestele ist dankbar für die vielen ehrenamtlichen Helfer und Unterstützer: "Der Zusammenhalt in der Gemeinde sowie das Verständnis für die Situation sind groß." Sein besonderer Dank gilt auch den katholischen Glaubensgeschwistern für die "gelebte Ökumene und Nächstenliebe" – sie hatten der evangelischen Gemeinde ihre Räume angeboten, so dass die Konfirmation schließlich in der katholischen Kirche in Harthausen gefeiert wurde.

(tog). Schwere Schäden an der Kirchturmspitze der evangelischen Kirche Winterlingen, verursacht durch eingedrungenes Wasser, hatten im Frühling dazu geführt, dass ein Statiker unmittelbar vor Ostern die Lage als gefährlich beurteilte und eine Absperrung des Geländes anordnete. Für die Kirchengemeinde unter der Leitung von Pfarrer Ernst Nestele bedeutete es eine lange Zitterpartie.

Zimmerermeister Thomas Ristau erklärte damals, dem Landesdenkmalamt müsse er den Zustand der Kirchturmspitze sowie den Rückbau exakt dokumentieren. Der Prozess insgesamt sei äußerst kompliziert und aufwendig.

Wie groß das Ausmaß des Wasserschadens ist, habe man erst spät festgestellt und nicht vorhersehen können: "Die entscheidenden Balken waren verschalt." Erst als die Handwerker die Verschalung abnahmen, entdeckten sie, dass etwa 17 von 22 Zentimetern des Balkendurchmessers völlig verfault waren. Sie zu erreichen, war schwer.