Helmut Opferkuch, Vorsitzender des Gesprächskreises Ehemalige Synagoge, freut sich auf die morgige Feier zum 20-jährigen Bestehen der Dauerausstellung „Spurensicherung“. Dieses Datum wird mit einem umfangreichen Programm gefeiert. Foto: Kost/Thomas Kost

Seit dem 14. Jahrhundert in Haigerloch ansässig, später deportiert und ermordet – seit 20 Jahren hält eine Ausstellung in der ehemalige Synagoge die Erinnerung an die Haigerlocher Juden lebendig. Längst verstorbene Zeitzeugen erheben dort ihre Stimme.

Erst Gebetshaus, dann Kino, dann Supermarkt, dann Textillager und schließlich Ort einer Ausstellung: Die 1783 erbaute und in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 von den Nationalsozialisten geschändete Synagoge im jüdischen Wohnviertel im Haag hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Seit 20 Jahren beheimatet das Gebäude die Ausstellung „Spurensicherung: Jüdisches Leben in Hohenzollern“.

Dieses Jubiläum wird am Sonntag, 16. Juni, gefeiert. Geplant ist ein buntes Programm unter Mitwirkung des Gesprächskreises Ehemalige Synagoge Haigerloch, des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg und der Haigerlocher Schulen.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras der Ehrengast

Auch prominente Gäste werden bei der Feier ab 14 Uhr auf dem Gustav-Spier-Platz vor der Synagoge anwesend sein. Zuallererst die Präsidentin des baden-württembergischen Landtages, Muhterem Aras. Neben ihr werden auch Landrat Günther-Martin Pauli und Bürgermeister Heiko Lebherz Grußworte an die Besucher richten.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras spricht bei der Feier im Haag ein Grußwort. Foto: Lena Lux /Lena Lux Fotografie & Bildjournalistin

Das dreiteilige Programm besteht aus informativen Vorträgen, musikalischen Einlagen und einem Projekt der 9. Klasse des Gymnasiums mit dem Titel „... und dann war das Haag leer...“ (siehe Info-Rubrik).

Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 war auch das Schicksal der jüdischen Gemeinde in Haigerloch besiegelt. In jenem Jahr zählte sie noch 193 Angehörige, was 14 Prozent der Haigerlocher Stadtbevölkerung ausmachte. Sukzessive wurden die Haigerlocher Juden ausgegrenzt, diskriminiert und am Ende ausgelöscht. Die, die es nicht schafften zu emigrieren, wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Nur wenige Haigerlocher Juden überlebten

Von den 276 aus Haigerloch deportierten Juden überlebten lediglich 13 Personen die Deportationen und das Inferno der Konzentrationslager. Zehn Überlebende meldeten sich nach dem Krieg in Haigerloch. Sie ließen sich nicht mehr im Städtle nieder, sondern begannen ihr neues Leben in den USA, England, Israel und in Südamerika.

Die Synagoge konnte 1999 mit Spenden und Geld der Stadt vom ihrem in der Schweiz lebenden Besitzer für 250 000 D-Mark (rund 128 400 Euro) erworben werden. Sie wurde behutsam saniert und ist seit dem 9. November 2003 eine Gedenkstätte. Ein Jahr später, am 14. Juni 2004, wurde dann die vom Haus der Geschichte gestaltete „Spurensicherung“ eröffnet. Diese Ausstellung erzählt die Geschichte der ehemaligen jüdischen Bevölkerung Hohenzollerns nach.

Jedes Ausstellungsstück erzählt seine Geschichte

Der Titel „Spurensicherung“ verweist auf die noch wenigen vorhandenen Spuren, die von früherem reichen jüdischen Leben in Haigerloch, Hechingen oder Dettensee noch sichtbar sind. Es sind meist religiöse Kultobjekte aber auch einfache Alltagsgegenstände, die in der Synagoge von diesem Leben zeugen. Sie können am Sonntag ebenfalls besichtigt werden.

Viele davon gelangten auf schicksalhafte Weise in die Gedenkstätte. Da findet sich zum Beispiel die Tür der Synagoge in Horb-Dettensee. Aus dem Besitz der Nachfahren von Schreiner Johann Fischer gelangte sie 2011 nach Haigerloch.

Die Handtasche einer deportierten Hechinger Jüdin ist als Spur 19 in der Dauerausstellung zu sehen. Foto: Kost/Thomas Kost

Ein ganz besonderes Ausstellungsstück ist ein Paar schwarze Lederschuhe. Sie erzählen eine berührende Geschichte: Der jüdische Viehhändler Siegmund Ullmann aus Haigerloch nimmt seinen Sohn Helmut eines Tages auf einen geschäftlichen Besuch mit. Der Zwölfjährige, der leidenschaftlich gerne Briefmarken sammelt, entdeckt ein ausländisches Kennzeichen am Auto vor sich. Er fragt die darin sitzende Frau, ob sie eine Briefmarke für ihn hätte. Und tatsächlich: Die Frau gibt ihm einen Umschlag mit Briefmarke.

Mit einem Kindertransport nach England

Helmuts Vater schickt daraufhin einen Brief an die Adresse auf dem Umschlag, um zu fragen, ob er ihr seine Kinder schicken könnte – schließlich wusste er, in welcher Gefahr sie sich alle bald befinden würden. Die Frau antwortet und willigt ein, zumindest den Jungen, den sie ja bereits kennengelernt hatte, aufzunehmen. So gelangt Helmut über einen Kindertransport nach England und mit ihm die schwarzen Lederschuhe, die ihm sein Vater in der Hoffnung auf Helmuts Überleben mitgibt. Helmut „John“ Ullmann heiratete nach dem Krieg und bekam zwei Kinder. Er starb 2007; für die Synagoge stiftete er ein Glasfenster mit einem Davidstern.

In der Synagoge befinden sich jedoch nicht nur Vitrinen mit geschichtsträchtigen Ausstellungsstücken. Auf der Empore können an Bildschirmen Zeitzeugeninterviews angeschaut werden. Diese entstanden 2003, als die ehemaligen Haigerlocher Juden zur Einweihung der Gedenkstätte ihre alte Heimat besuchten.

Geschichte für junge Leute erlebbar machen

Und auch die zeitweilige Nutzung der Synagoge als Kino und Supermarkt wird nicht unterschlagen. Besucher laufen regelrecht auf das leuchtende „SPAR“-Reklam und die Fliesen der Fleischertheke zu und auch der Filmprojektor des ehemaligen Kinos ist noch da. So soll Geschichte sicht- und erlebbar gemacht werden – auch für junge Leute.

Helmut Opferkuch, Vorsitzender des Gesprächskreises, befürwortet eine enge Zusammenarbeit mit der Jugend, da sie keine direkten Verbindungen mehr zur jüdischen Geschichte hätten.

Das Programm zur Feier (14 bis 17 Uhr)

Offizieller Teil:
Begrüßung durch den Gesprächskreisvorsitzenden Helmut Opferkuch, Grußworte von Landtagspräsidentin Muhterem Aras, Landrat Günther-Martin Pauli, Bürgermeister Heiko Lebherz. Musikalische Beiträge von der Bläsergruppe der Eyachtalschule und Carlotta Koch und Mechthild Fingerle.

Vorträge und Darbietungen:
„20 Jahre Dauerausstellung“ – Vortrag von Cornelia Hecht-Zeiler vom Haus der Geschichte; „Jüdische Geschichte in Haigerloch“ – Vortrag von Helmut Opferkuch. „...und dann war das Haag leer...“ – Projekt der Klassenstufe 9 des Gymnasiums an verschiedenen Stationen im Haag.

Informeller Teil:
Imbiss und alkoholfreie Getränke, Besichtigung der Dauerausstellung sowie Zeit für Gespräche.

Parken:
Wegen der beengten Parkplatzsituation im Haag und im„Städtle“ sollten Besucher der Feier den großen Kiesparkplatz am Mühlgraben („Eisweiher“) benutzen.